Versuch einer kritischen Sicht der Oper als Gattung heute  :

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 Die musikalische Ebene scheint getrennt von der inszenatorischen,die sich in der Regel am Text und meist nicht wirklich an der Musik orientiert.

 Bühnenraum, Orchestergraben und Publikumsraum sind getrennte Räume, vom Zuschauer auch so erlebt.

 Text kommt per Übertitel, da er als solcher häufig akustisch nicht wahrnehmbar ist. Text erscheint also nicht als er selbst im Verbund mit der Musik, die ja keine textadäquate (sprachliche) Artikulation ermöglicht. Text ist nicht unmittelbar, sondern in Projektion präsent, es sei denn, der Sänger spricht.

Musik repräsentiert den Text (Libretto) nur unvollständig. Textmelodie, Textklang wird nur in Ansätzen musikalisch reflektiert. Handlungsstimmungen und Charaktere werden durch die Musik als solche zum Allgemeinen entdifferenziert (schön euphorisch, schön schmerzhaft, schön verzweifelt...).

Literarische Inhalte werden in die Musik hineingewöhnt.

Die Vertonung von Text, besonders wenn er Handlungsabläufe physisch und psychisch repräsentiert, ist grundsätzlich problematisch. Textstrukturen sind rhythmisch, melodisch und klanglich wie auch funktional, vor allem auch in seiner Realisierung auf der Bühne, sehr verschieden von denen der Musik. Musik an sich kann Ausdruck haben, aber wohl nichts wirklich sagen.

 Der Ablauf wird in Szenen aufgegliedert. Situationen ändern sich plötzlich bei Szenenwechsel, Zeitabläufe springen, um dann häufig einer vergleichsweise langsamen Szenenfüllung Raum zu geben. Für das Publikum ist eine inneres Einschwingen in einen vorgegebenen Zeitlauf sehr erschwert. Bisweilen scheint die Inszenierung dann innerhalb einer Szene fast stillzustehen.

Herkömmliche strukturelle Formalismen, auch in manch zeitgenössischem Musiktheater, bewirken tendenziell störende Unterbrechungen sinnlicher Konzentration (Szenenabfolgen, Arien als isolierbare Höhepunkte, Zwischenspiele...), die in ihrer Selbstverständlichkeit der Abfolgen Differenzierungen einebnen können.

 Der Solist läuft Gefahr, als Interpret über die Erzählung hinauszuragen, als faszinierender Ausführender die Szenerie dominierend den Zusammenhang, den Fluss störend.

 Urgründe von Bestandteilen des Musiktheaters (Raum, Klang, Stimme…) sind in der Tradition ihrer üblichen Handhabung verschüttet.



Solche Bemerkungen ziehen natürlich nicht die Größe herkömmlicher Opern in Zweifel, sondern deuten Kritikpunkte zeitgenössischer Opern und deren Inszenierung an.

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„Die große Wirkung, die die italienische Oper auf uns hat, rührt nicht von einer Sprache unterstützenden oder sie zusätzlich interpretierenden Macht des Gesanges her, sondern von dem im Gesang manifest werdenden Widerspruch zwischen einer rationalen Ordnung der Verhältnisse, die zugleich als eine Menschen zurichtende Ordnung erscheint, und den Ansprüchen des davon nicht beirrbaren Triebwesens Mensch; daher also, dass in ihr die Personen, was immer sie rational vorbringen oder mitteilen mögen, als Triebsubjekte (und das bis zur Auslöschung der Subjektivität selbst) singen. Noch einmal: was immer sie mitzuteilen haben, unabhängig von Grund und Folge, ungerührt auch von der Plausibilität eines Zeit und Raum organisierenden Handlungsverlaufs: als Triebobjekte singen sie.“

Diese etwas überspitzten Worte von Klaus Heinrich (Reden und kleine Schriften 3) gelten, wie ich meine, auch über die italienische Oper hinaus zumindest eingeschränkt bis heute. Die Problematik der Vertonung von (verbalen) Gedanken und beschreibbaren Handlungsabläufen wird hier deutlich zur Aufspaltung in zwei Sphären.

Durch die Ungenauigkeiten bei versuchten Analogien zwischen Text- und Musiksetzungen wird eine Ent-subjektivierung des einsehbar Handelnden auf der Bühne zu einer eher allgemeinen und daher leicht nachempfindbaren gewollten Ritualisierung eingeläutet, vom Triebsubjekt zum Triebobjekt werdend verlieren die Figuren ihre individuelle Differenzierung.